Zugausfälle und massive Verspätungen, gestrichene S-Bahnen und lange Schlangen: Der neue Lokführer-Streik fordert von den Bahnreisenden große Geduld. Viele sind verärgert, andere aber bleiben gelassen.
Die Koffer stapeln sich, Kinder sitzen auf dem Fußboden der Bahnhofshalle, immer wieder geht der Blick zur Anzeigentafel. Durch die Lautsprecher ist eine Stimme zu hören: «Die Abfahrt des Zuges verzögert sich auf unbestimmte Zeit. Grund: Streik.» So ergeht es am Samstagmorgen tausenden Reisenden im ganzen Land. Denn die Lokführer streiken erneut – und legen den Zuverkehr in weiten Teilen der Bundesrepublik lahm.
Am Münchner Hauptbahnhof bilden sich Schlangen an den Schaltern, Bahn-Mitarbeiter verteilen Kaffee und Verspätungsformulare. Die Anzeigetafeln zeigen Verzögerungen, teils von mehreren Stunden. Betroffen sind Regional- und Fernzüge im Norden Deutschlands, in Berlin, Frankfurt, Leipzig, Teilen Nordrhein-Westfalens und in Bayern. Rund 1000 Züge fallen laut Bahn insgesamt aus.
Doch das große Chaos herrscht zunächst nicht: Der Samstagmorgen gilt als verkehrsärmste Zeit der Woche. Dementsprechend ist es in München relativ ruhig, vor allem Urlaubsreisende sind hier betroffen.
«Wir kommen gerade erholt aus dem Urlaub und haben noch die Hoffnung, dass es bald weitergeht», sagt Sonja Winkler, die mit ihrem Mann André von München nach Braunschweig in Niedersachsen weiterreisen will. Von dem Streik wussten die beiden vorher nichts, sie sind am frühen Morgen am Münchner Flughafen gelandet. «Ärgerlich ist, dass wir überhaupt keine Informationen haben: Unser Zug könnte bald fahren, aber eben auch nicht», klagt das Ehepaar.
Eine Gruppe Urlauber auf der Rückreise aus Kroatien wartet derweil mit großen Koffern auf die Weiterfahrt nach Regensburg. Die Frauen und Männer haben zuvor von dem Ausstand gehört, doch die Rückfahrt war da schon längst gebucht. «Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu warten», ist sich die Gruppe einig. Mehr Glück haben Melanie und Yvonne Windirsch: Ihr Zug nach Nürnberg soll planmäßig abfahren. «Wir wussten von dem Streik und sind einfach trotzdem zum Bahnhof gekommen. Das war wohl das Richtige», freuen sich die Schwestern.
In Hannover dagegen sind viele Reisende verärgert, vor allem die kurzfristige Ankündigung des Streiks stößt auf Ablehnung. Einige haben überhaupt kein Verständnis für die Aktion der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). «Das ist Erpressung. Eine Frechheit, das auf Kosten der Menschen durchzuführen», meint ein Mann, der eigentlich nach Wien wollte.
«Ich habe null Komma null Verständnis dafür», sagt auch eine Reisende, die auf dem Weg zum Urlaubsflieger in Hannover festsitzt. Im Norden trifft der Streik vor allem Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Nervenaufreibend ist der Samstag auch für einen Mann, der nach München muss, um sein Flugzeug zu erreichen – und dem eine Schalterbeamtin in Hannover vorschlägt, doch mit dem Taxi zu fahren.
Auch in Hessen kommt es zu massiven Störungen. An Gleis 9 am Frankfurter Hauptbahnhof steht das Ehepaar Kramer und raucht. Es ist 8.00 Uhr früh – doch der ICE in Richtung Wolfsburg fährt nicht. Nicht planmäßig um 7.58 Uhr jedenfalls. Das Problem: Niemand weiß, wie lange sich der Zug verspäten wird. Und ob er überhaupt fährt. «Wir wissen nicht, wann wir wegkommen. Mich ärgert das, das ist das Letzte», schimpft die Frau aus Gießen.
Familie Ocker aus Schwäbisch Gmünd hat noch Hoffnung, rechtzeitig aus Frankfurt wegzukommen. Um 18.00 Uhr müssen die drei Schwaben auf ihrem Schiff in Warnemünde sein. Sie seien extra früh aufgestanden, nun hängen sie seit fast zwei Stunden in Frankfurt fest. Dass sie auf das Auto verzichtet haben und stattdessen Bahn fahren wollten, bedauern die Ockers inzwischen: «Jaja, von wegen entspanntes Reisen.»
In ganz Deutschland fallen auch S-Bahnen aus. Berliner müssen auf andere Verkehrsmittel ausweichen, auf den meisten Linien in der Hauptstadt fahren nur vereinzelte Züge, die Ringbahn fällt zeitweise komplett aus. Auch in Hamburg und Hannover gibt es Verspätungen im Nahverkehr. In München fallen nach Angaben der Deutschen Bahn etwa 20 Prozent der S-Bahnen aus. In Nürnberg steht eine Linie am Morgen rund eine Stunde lang still.
Was die Fahrgäste nicht sehen: Neben dem Personenverkehr sind auch Güterzüge betroffen, im Süden vor allem die Transporte in Richtung Brenner. Rund drei Stunden lang stehen die Züge auf deutschem Gebiet still, sagt ein Sprecher der GDL.
Bis sich der Regionalverkehr normalisiere, könne es bis in den frühen Nachmittag hinein dauern, betont ein Bahn-Sprecher am Samstagmorgen. Im Fernverkehr dagegen müssen die Reisenden noch mehr Geduld haben: Den ganzen Tag über sei weiter mit Störungen zu rechnen. Bahnfahrer machen ihrem Ärger auch in sozialen Netzwerken Luft und informieren sich gegenseitig über Twitter. Viele Reisende finden den Ausstand unnötig – sind aber von vergangenen Streiks Schlimmeres gewohnt.
dpa