Di, 08.02.2022 , 13:03 Uhr

Rom/München: Papst Benedikt XVI. bittet Missbrauchsopfer um Entschuldigung - und streitet ab

Auf diese Stellungnahme haben viele Katholiken in Deutschland gewartet: Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst Benedikt XVI., äußert sich zu Vorwürfen aus dem Münchner Missbrauchsgutachten.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche um Verzeihung gebeten – konkrete Vertuschungsvorwürfe gegen sich aber entschieden zurückgewiesen.

«Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind»,

schrieb er in einer Stellungnahme, die der Vatikan am Dienstag veröffentlichte.

Er wolle seine «tiefe Scham», seinen «großen Schmerz» und seine «aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck bringen», heißt es in dem Schreiben weiter.

 

Fragliche Sitzung: Angeblicher Fehler statt Schuldeingeständnis

Benedikt, der frühere Kardinal Joseph Ratzinger, steht seit Wochen heftig in der Kritik, weil ihm ein Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising Fehlverhalten in vier Fällen vorwirft. Die Gutachter der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) gehen davon aus, dass Ratzinger in seiner Zeit als Münchner Erzbischof Priester, die Kinder missbraucht hatten, wieder in der Seelsorge einsetzte.

Diese Vorwürfe werden in einem ebenfalls am Dienstag veröffentlichten «Faktencheck» von Ratzingers Anwälten und Beratern kategorisch abgestritten. «Das Gutachten enthält keinen Beweis für einen Vorwurf des Fehlverhaltens oder der Mithilfe bei einer Vertuschung», heißt es darin.

«Als Erzbischof war Kardinal Ratzinger nicht an einer Vertuschung von Missbrauchstaten beteiligt.»

Benedikt äußerte sich auch selbst zu Vorwürfen, er habe über seine Teilnahme an einer Sitzung gelogen, in der es um die Versetzung eines Priesters von Nordrhein-Westfalen nach Bayern ging. Dieser Priester soll später in zwei oberbayerischen Gemeinden wieder mehrere Kinder missbraucht haben. Die falsche Angabe, er sei bei der fraglichen Sitzung nicht dabei gewesen, beruhe auf einem Missverständnis. Das habe sich beim Verfassen der Stellungnahme zu dem Gutachten ergeben, bei dem «eine kleine Gruppe von Freunden» ihm geholfen habe.

«Bei der Riesenarbeit jener Tage – der Erarbeitung der Stellungnahme – ist ein Versehen erfolgt, was die Frage meiner Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 betrifft». Der Fehler sei «nicht beabsichtigt» gewesen – und «so hoffe ich, auch entschuldbar», schreibt Benedikt. «Dass das Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen, hat mich tief getroffen.»

Die Teilnahme an der Sitzung belege nicht, dass er von früheren Missbrauchstaten des Priesters aus Essen gewusst habe, betonen Ratzingers Anwälte. Die Akten zeigten, «dass in der fraglichen Sitzung nicht thematisiert wurde, dass der Priester sexuellen Missbrauch begangen hat», schreiben sie.

Laut dem am 20. Januar vorgestellten Gutachten wurden mindestens 497 Kinder und Jugendliche zwischen 1945 und 2019 in dem katholischen Bistum von Priestern, Diakonen oder anderen Mitarbeitern der Kirche sexuell missbraucht. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es demnach – darunter 173 Priester und 9 Diakone. Allerdings sei dies nur das «Hellfeld» – es sei von einer viel größeren Dunkelziffer auszugehen.

In seinem Brief bittet Ratzinger die Gläubigen, für ihn zu beten: «Immer mehr verstehe ich die Abscheu und die Angst, die Christus auf dem Ölberg überfielen, als er all das Schreckliche sah, das er nun von innen her überwinden sollte», schreibt er. «Dass gleichzeitig die Jünger schlafen konnten, ist leider die Situation, die auch heute wieder von neuem besteht und in der auch ich mich angesprochen fühle.»

 

Missbrauchsexperte Zollner: Benedikt XVI. geht nicht auf Details ein

Präventionsexperte Pater Hans Zollner sieht im Brief des emeritierten Papstes Benedikt XVI. ein Spiegelbild für dessen Umgang mit dem Thema Missbrauch. «Ich stelle fest, dass er sich zunächst bei seinen Freunden bedankt und dann erst die Betroffenen kommen», sagte Zollner der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag in Rom. Der Jesuit betonte gleichzeitig, er sei nicht der Richter über das, was der 94-Jährige in seinem am Dienstag veröffentlichten Brief sage.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat die Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche am Dienstag um Verzeihung gebeten – konkrete Vertuschungsvorwürfe gegen sich aber entschieden zurückgewiesen.

Benedikt spanne in seiner Erklärung zum Münchener Missbrauchsgutachten einen großen theologischen Rahmen, ohne auf Einzelheiten einzugehen, sagte Zollner. Er erkenne in dem Text den Ausdrucksstil des Emeritus wieder. «Das ist jetzt er», erklärte der Theologe und Psychologe. Zollner sitzt als externer Berater in der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen.

 

Kirchenrechtler Schüller: Benedikt drückt sich um Verantwortung

Der Kirchenrechtler Thomas Schüller hat die Erklärung des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zum Münchner Missbrauchsgutachten als unzureichend kritisiert. «Er entschuldigt sich, spricht seine Scham aus – das ist gut und wichtig», sagte Schüller am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. «Was fehlt aber? Dass er sagt: „Ich entschuldige mich und ich übernehme Verantwortung für die schlimmen Fehler, die in Sachen Umgang mit sexuellem Missbrauch in meiner Zeit als Erzbischof von München-Freising gemacht wurden.“»

Benedikt spreche zwar von Fehlern und Vergehen, aber er rechne sie sich nicht selbst an. «So als hätten anonym bleibende Mächte und Gewalten im Erzbistum München-Freising diese Fehler gemacht, nicht aber er», kritisierte Schüller, der an der Universität Münster das Institut für Kanonisches Recht leitet. «So übernimmt er erneut nicht persönliche Verantwortung und vor allem er zieht keine persönlichen Konsequenzen, außer sich der barmherzigen Liebe Gottes anzuempfehlen. Das wird die Überlebenden sexualisierter Gewalt erneut traumatisieren, denn ihnen widerfährt keine Gerechtigkeit.»

Dass Benedikt eine Falschaussage zur Teilnahme an einer Sitzung gemacht habe, werde von ihm als Bagatelle heruntergespielt. Das sei es aber nicht: «Es war und bleibt eine Unwahrheit, die er mit seiner Unterschrift zu verantworten hat», sagte Schüller.

 

Papst-Anwalt kritisiert Münchner Missbrauchsgutachten

Papst-Anwalt Carsten Brennecke hat das Münchner Missbrauchsgutachten scharf kritisiert. «Die Indizienlage ist so dünn, dass man daraus keinesfalls eine Verurteilung ableiten kann», sagte er dem «Spiegel». Das Münchner Gutachten verletze «die auch aus dem Grundgesetz abgeleitete Unschuldsvermutung», sagte Brennecke. «Sie gilt für jeden Menschen, also auch für den
Papst.» Die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW), die das Gutachten im Auftrag des Erzbistums München und Freising erstellt hat, wies die Kritik entschieden zurück und nannte die Vorwürfe «unbegründet».

«Wir haben die von uns festgestellten Umstände und Tatsachen transparent und nachvollziehbar dargelegt», sagte Rechtsanwalt Ulrich Wastl der Deutschen Presse-Agentur in München. «Auf dieser Grundlage haben wir unsere Bewertung vorgenommen, begründet und jedem Leser die Gelegenheit gegeben, sich selbst ein eigenes Bild zu machen. Eine Verurteilung unsererseits, wie von Rechtsanwalt Brennecke insinuiert, erfolgte nicht.»

Benedikt, der frühere Kardinal Joseph Ratzinger, steht seit Wochen heftig in der Kritik, weil ihm das Gutachten, das von mindestens 497 Betroffenen und 235 mutmaßlichen Täter ausgeht, Fehlverhalten als Münchner Erzbischof vorwirft.

Der Kölner Jurist Brennecke hatte auch schon Kardinal Rainer Maria Woelki beraten und in dessen Auftrag das damalige WSW-Gutachten für das Erzbistum Köln geprüft und kritisiert. Es wurde daraufhin nicht veröffentlicht und andere Gutachter beauftragt.

Der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, stellte sich hinter die von ihm beauftragten Gutachter: «Ich betone nochmals, dass die Erzdiözese und ich als Erzbischof das Gutachten, in dem es besonders im Blick auf die Leitungsebene auch um persönliche und institutionelle Verantwortung geht, sehr ernst nehmen und die Empfehlungen zusammen mit dem Betroffenenbeirat und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission aufgreifen werden», teilte er mit.

 

dpa/JM

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