„Jemand hat sich an unserer Geschichte vergangen“. So die Worte von Kunstminister Markus Blume zu einem spektakulären Museumsraub in der Nacht auf Dienstag. Unbekannte haben innerhalb von nur neun Minuten einen jahrtausendalten Goldschatz gestohlen.
Die rund 500 keltischen Münzen waren das Aushängeschild des Kelten Römer Museums in Manching – also ganz in der Nähe zum Landkreis Kelheim.
Die Polizei geht davon aus, dass die Diebe die Goldmünzen einschmelzen. Laut Expertenschätzung könnten die Täter das Gold für rund 1,6 Millionen Euro verkaufen.
Zur gleichen Zeit wurden mehrere Glasfaserleitungen in Manching sabotiert. Die Ermittler gehen von einem Zusammenhang mit dem Museumseinbruch aus.
Das Bayerische Landeskriminalamt ermittelt und sucht nach Zeugen.
JM
Es war eine Sache von nur neun Minuten: Um 1.26 wurde eine äußere Fluchttüre am Kelten und Römer Museum in Manching aufgehebelt, um 1.35 Uhr war der Einbruch in der Nacht zum Dienstag schon wieder vorbei. Am Tag danach trauert Rupert Gebhard, Leitender Sammlungsdirektor der Archäologischen Staatssammlung, um die kostbarsten Schätze des Museums: 483 Münzen und ein Gold-Gusskuchen. Der Diebstahl hat Spuren hinterlassen – im Museum und bei dem Archäologen. «Es fühlt sich wie der Verlust eines alten Freundes oder einer alten Freundin an», sagt Gebhard.
Der Goldschatz war das Aushängeschild des Museums. Der Sammlerwert der historischen Münzen wird laut LKA auf mehrere Millionen Euro taxiert. Es handelt sich um den größten keltischen Goldfund, der im vergangenen Jahrhundert aufgetaucht ist. Ein Grabungsteam hatte vor 23 Jahren die Münzen entdeckt. In der Vitrine befanden sich 483 Goldmünzen, die insgesamt rund vier Kilogramm wiegen, wie das LKA am Abend mitteilte. Sie würden auf etwa 100 vor Christus datiert.
«Der Verlust des Kelten-Schatzes ist eine Katastrophe, die Goldmünzen als Zeugnisse unserer Geschichte sind unersetzlich», sagte Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU). Der kulturelle Schaden sei enorm. «Wer auch immer diese Tat begangen hat: Jemand hat sich an unserer Geschichte vergangen und unfassbare kriminelle Energie dafür an den Tag gelegt.» Blume sagte, es müsse alles dafür getan werden, die Hintergründe aufzuklären und die Kriminellen zu fassen.
«Der Einbruch muss in den frühen Morgenstunden stattgefunden haben», sagte der LKA-Sprecher. «Es war klassisch, wie man es sich in einem schlechten Film vorstellt.» Am Dienstagmorgen hätten die Mitarbeiter des Museums dann festgestellt, dass der Goldschatz fehlt.
Zunächst wurde die Kripo des Polizeipräsidiums in Ingolstadt eingeschaltet. Wegen des großen Wertes des Diebesgutes übernahm im Lauf des Tages das LKA den Fall. Am Mittwoch wollen die Münchner Ermittler weitere Informationen zu dem Einbruch bekannt geben.
Seit 2006 wurde der Schatz in dem Museum im Landkreis Pfaffenhofen/Ilm ausgestellt. Das sogenannte Oppidum Manching gilt als eine wichtige keltische Siedlung, in der bis heute Archäologen regelmäßig tätig sind. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege zählt die Siedlung zu den bedeutendsten Bodendenkmälern nördlich der Alpen.
Der herausragende archäologische Ort im nördlichen Oberbayern zieht immer wieder Kriminelle an. Erst Anfang Mai hatten Raubgräber auf dem Gelände einer wissenschaftlichen Grabung bei Manching illegal etwa 140 Löcher gegraben. Ein Fachunternehmen hatte damals im Auftrag des Freistaats ein Stück Land untersucht, weil dort eine Bundesstraße gebaut werden soll.
Die Experten gehen davon aus, dass die Täter damals an einem Wochenende mit Bodensonden auf dem Gelände der Archäologen nach Funden aus der Keltenzeit gesucht haben. Ob und welche Stücke gestohlen wurden, ist bis heute unklar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch zu der Raubgrabung.
Nach Einschätzung der Polizei können die Täter den in Manching gestohlenen Goldschatz nur schwer verkaufen. Daher sei zu befürchten, dass sie die 483 keltischen Münzen einschmelzen und für den Goldwert veräußern. Das sagte ein Sprecher des Landeskriminalamts am Mittwochmorgen.
Am Ausstellungsort der historischen Schätze zeugen unzählige Glassplitter auf dem Museumsboden von dem Verbrechen. Sie stammen aus einer Glasvitrine, die die Täter zerstört haben, um an drei weitere, noch größere Münzen zu kommen. «Es bleibt eine Wunde», sagt der Leitende Sammlungsdirektor mit trauriger Miene.
Die Beute ist ein Goldschatz von ideell unermesslichem Wert aus dem ersten Jahrhundert vor Christus mit einem Handelswert von rund 1,6 Millionen Euro, wie Gebhard sagt. Dazu die Münzen aus einer anderen Vitrine.
Die Zeiten des Einbruchs wurden von der Alarmanlage aufgezeichnet, wie der Vizepräsident des Landeskriminalamts Guido Limmer sagt. Doch der Alarm konnte nicht weitergeleitet werden, denn um 1.17 Uhr – neun Minuten vor dem Einbruch – war ein Verteilerknoten für Internet und Telefon in nur einem Kilometer Entfernung zum Museum sabotiert worden. Dadurch waren laut Polizei Telefonie und Internet für rund 13 000 Privathaushalte und Unternehmen in der Gegend ausgefallen. Und vor Ort im Museum gab es in der Nacht kein Wachpersonal.
Die Sicherheitsmaßnahmen hätten den Empfehlungen beim Bau des Museums entsprochen, betont Limmer. Laut Gebhard hatte es nach dem Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden noch eine Besichtigung gegeben, um die Qualität der Sicherungsanlagen zu überprüfen.
Der Fall aus dem Jahr 2019 spielt auch bei den aktuellen Ermittlungen eine Rolle, ebenso wie der Diebstahl einer 100 Kilo schweren Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin im Jahr 2017. Man sei in Kontakt mit den Kollegen in Berlin und Dresden wegen der «möglichen Parallelen» zu den Fällen, sagte Limmer. Ob Verbindungen bestehen, sei aber noch völlig unklar.
Gebhard hofft, dass die Münzen wieder auftauchen. Doch ihnen könnte die Zerstörung in einem Schmelzofen drohen – die «schlimmste Option», die einen Totalverlust bedeuten würde. Der reine Materialwert des 3,724 Kilo schweren Schatzes wird auf rund eine Viertelmillion Euro geschätzt. Ein Verkauf zum weitaus höheren Handelswert wäre für den oder die Täter nicht einfach: Die Münzen sind laut Gebhard so gut dokumentiert, dass sie jederzeit identifiziert werden könnten.
Für Archäologen haben sie großen Wert. Der Schatz mit 483 Münzen, der im vergangenen Jahrhundert bei regulären Grabungen auftauchte, sei ein «wirkliches Kleinod». Laut Gebhard zeigt er die Beziehungen des Manchinger Oppidums nach Böhmen und den Wohlstand seiner Bewohner.
Nach diesem Oppidum – der Begriff steht für eine stadtartige Siedlung – ist auch die 20-köpfige Sonderkommission benannt, die nun den oder die Täter jagt und wegen Sachbeschädigung und Bandendiebstahl ermittelt. Das LKA geht allerdings nicht davon aus, dass es sich um einen Einzeltäter handelt.
Die Ausgangslage ist aber schlecht, denn der Einbruch wurde erst nach Stunden, gegen 9.45 Uhr bemerkt. Zwar waren nach dem Ausfall von Internet und Telefonen noch in der Nacht Streifen losgeschickt worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei allerdings noch befürchtet, Banken und Geldautomaten könnten das Ziel von Kriminellen werden. Dass der Tatort das Museum war, wurde den Ermittlern erst klar, als Mitarbeiter die Polizei alarmierten.
Laut Limmer liegen zudem derzeit «keine Bilder vor, die wir für eine Fahndung nutzen könnten». Der leitende Oberstaatsanwalt Nicolas Kaczynski sagte: «Die Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang».
Kunstminister Markus Blume (CSU) bezeichnete den Diebstahl als einen Angriff auf das kulturelle Erbe Bayerns. Der Keltenschatz sei «von kulturhistorisch unschätzbarem Wert», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Ende der 90er Jahre sei er ein «Sensationsfund» gewesen, der einen Blick in das Leben der Menschen in Bayern vor mehr als 2000 Jahren möglich gemacht habe. «Es ist insofern auch eine Attacke auf unser kulturelles Erbe und auch auf den Kulturstaat», sagte Blume.
Dem Bayerischen Rundfunk sagte Blume zudem: «Klar ist, Du marschierst nicht einfach in so ein Museum rein und nimmst dann diesen Schatz mit.» Das sei «hochgradig gesichert und insofern liegt die Vermutung zumindest nahe, dass wir es hier eher mit einem Fall von organisierter Kriminalität zu tun haben.»
Hinweise nimmt das Bayerische Landeskriminalamt unter der Telefonnummer 089 / 1212 – 0 oder jede andere Polizeidienststelle entgegen.
dpa/PP Niederbayern/JM