Im Jahr 2018 haben die Freien Wähler und die CSU in ihrem Koalitionsvertrag einen Baustopp für drei geplante Flutpolder an der Donau beschlossen, doch schon ein paar Monate später ist diese Entscheidung wieder gekippt worden. Am Mittwoch, 23.06.21. berichteten mehrere Medien über eine Studie des Landesamtes für Umwelt zu den möglichen Donau-Standorten Bertoldsheim, Eltheim und Wörthhof, in welcher die Wirksamkeit von Flutpoldern bestätigt wird.
Konkret sollen die Standorte Wörthhof und Eltheim im Landkreis Regensburg zu einem großen Flutpolder am Standort Wörthhof zusammengelegt werden. Diese neue Variante soll ein Volumen von rund 30 Millionen Kubikmetern umfassen.
Flutpolder sind große Rückhaltebecken, die im Fall eines drohenden Hochwassers geflutet werden sollen und so erhebliche Wassermassen aus den Flüssen nehmen.
Natürlich beschäftigt die neusten Entwicklungen nicht nur die Kommunen im unmittelbaren Umgriff des Wörthhof-Polders, der sage und schreibe über 30 Millionen Kubikmeter Wasser fassen soll und sich mit 762 ha in der Größenordnung des Tegernsees mit 893 ha bewegt, sondern nahezu die gesamte Region.
Für die SPD steht indes fest, dass entlang der Donau durchgängig auf einen HQ100-Schutz zu achten sei. Die Hochwasserthematik müsse ganzheitlich betrachtet werden, jede Kommune und jeder Landkreis müsse in seinem Wirkungsbereich seinen Beitrag leisten. Letztlich können Polder im Landkreis Regensburg die Hochwassersituation donauabwärts nur bedingt verbessern und sollten keineswegs dazu führen, dass künftig noch näher an den Fluss gebaut werde oder Hochwasserschutzmaßnahmen vor Ort weniger konsequent umgesetzt würden. Genau das sei jedoch zu befürchten.
Auch Regensburg hat sich in den letzten Jahren dieser Verantwortung gestellt und große Anstrengungen in Schutzmaßnahmen vor einem 100-jährigen Hochwasser investiert, die nun kurz vor ihrer Vollendung stehen. [...]Dies war kein einfacher Prozess, weil Hochwasserschutzmaßnahmen naturgemäß zu umfangreichen Diskussionen zwischen den Beteiligten und Betroffenen führen,
so SPD-Stadtratsfraktionsvorsitzende Dr. Thomas Burger. Zudem habe sich die gesamte Region Regensburg auch bereits mit dem Donau-Ausbau sehr engagiert bei der bayerischen Wasserinfrastruktur eingebracht; auch dies sei kein einfacher Weg gewesen.
Für viele Kommunalpolitiker in der Region sind diese neuen Erkenntnisse ein herber Rückschlag. Für Tanja Schweiger, Landrätin des Landkreises Regensburg, hätte erst einmal die grundsätzliche Frage zur Sinnhaftigkeit der Flutpolder aufbereitet werden müssen. Von 2015 bis 2017 seien hierzu mit dem Umweltministerium mehrere Gespräche geführt worden. Die Erkenntnisse und offenen Fragen seien aber bis heute nicht berücksichtigt worden, so Tanja Schweiger.
"Eine Entscheidung für Polder in unserer Region wird dazu führen, dass donauabwärts Flächen besiedelt werden, die bisher tabu waren, weil eine Scheinsicherheit durch die Polder vorgegaukelt wird. Sie passt nicht in eine Zeit, die vom Respekt gegenüber der Natur und der größtmöglichen Vermeidung von Versiegelung der Landschaft geprägt ist. Wir können sie deshalb auch nicht als Solidarbeitrag anerkennen. Im Gegenteil. Hier handelt es sich um eine Einbahnstraße zu Lasten unserer Region. Wir haben den Donauausbau mit Staustufen hingenommen, der so in Niederbayern wegen der freifließenden Donau nicht zumutbar war. Wir bekommen die SüdOstLink-Trasse, die fachlich nach Gundremmingen sollte und politisch in Ingolstadt und Schwaben nicht zumutbar war und wir sollen nun auch noch einen mehrere Meter hohen Stausee in der Größe des Tegernsee bekommen, obwohl in unserer Region bei Starkregen das Wasser bereits jetzt wochenlang nicht abfließt. Wo bleibt die Solidarität mit uns?" - Tanja Schweiger, Landrätin
Auch die SPD zeigt sich überrascht von den neuesten Entwicklungen, weil sich CSU und Freie Wähler im Koalitionsvertrag zur Regierungsbildung in Bayern eigentlich darauf verständigt hatten, die Planungen hierzu nicht weiterzuverfolgen. Damalige Begründung: Die mit dem Polderbau verbundenen Nachteile seien für die betroffenen Regionen unverhältnismäßig groß. Schließlich würde sich unter anderem der Grundwasserpegel erhöhen, was auch zu einer weiteren Verschärfung der Problematik des Starkregenabflusses führen würde. Zudem würde der Polderbau zu enormen Beeinträchtigungen für die ökologische Landbewirtschaftung führen, da Überschwemmungsgebiete hier nicht einbezogen werden könnten.
Die Mintrachinger Bürgermeisterin Ritt-Frank bedauert zudem, dass sich durch die neuesten Meldungen wieder eine reine Polderdebatte ergeben habe und auch nicht mehr differenziert werde zwischen HQ100, HQextrem und weiteren Kriterien. Zum Hochwasserschutz gehörten zum Beispiel auch ein kluges Staustufenmanagement oder die Schaffung von dezentralen kleinteiligen Retentionsflächen. Leider würden diese Punkte in der Debatte aber weitestgehend ausgeklammert.
In einem offenen Brief an Ministerpräsident Markus Söder üben viele Politiker aus der Region herbe Kritik und machen ihre Enttäuschung deutlich. Darunter sind auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Gemeinden Wiesent und Barbing und der Stadt Wörth an der Donau. Hubert Aiwangers Kehrtwende führe zu großer Verunsicherung und schädige Ansehen und Vertrauen in die Staatsregierung. Außerdem vermissten sie die versprochenen gemeinschaftlichen Entscheidungen auf Augenhöhe. Söder möge veranlassen, dass das Gutachten und die weiteren Untersuchungen im Landkreis vorgestellt werden, baten die sechs Politiker, darunter Bundestagsmitglied Peter Aumer und Landtagsmitglied Sylvia Stierstorfer.
" Da Ihr Stellvertreter die Augenhöhe mit Interviews zu verwechseln scheint, bitten wir Sie, zu veranlassen, dass uns das Gutachten des Umweltministeriums und die weiteren Untersuchungen wissenschaftlich vorgestellt werden, denn nur so ist eine Diskussion auf Augenhöhe möglich. Auf unsere mehrmaligen Anfragen an Minister Glauber in dieser Sache haben wir leider keine Antwort erhalten. […] Gleichzeitig bitten wir Sie darum, noch vor der Sommerpause eine öffentliche Veranstaltung in unserer Region organisieren zu lassen. Nur so kann Ihr Versprechen von der Bayerischen Staatsregierung eingehalten werden." - Brief an Ministerpräsident Markus Söder
Auch die SPD-Landtagsfraktion hatte jüngst von der Staatsregierung die Veröffentlichung der Polder-Studie noch vor der Sommerpause im bayerischen Parlament verlangt und mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht gedroht. Ein Sprecher des Umweltministeriums sagte am Mittwoch, die Studie solle veröffentlicht werden, wann stehe jedoch noch nicht fest.
SPD-Kreisrat Koch befürchtet, dass Hochwasserschutz nicht so recht als gemeinsame Herausforderung für ganz Ostbayern begriffen werde, sondern weit überdurchschnittlich zulasten der Region Regensburg gehen könnte: „Solidarität ist keine Einbahnstraße.“ Ihm sei nun vor allem wichtig, dass die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Poldern auf den Tisch kommen und in Verbindung mit allen anderen Maßnahmen betrachtet werden. Es mache misstrauisch, dass das neueste Gutachten von Umweltminister Glauber und seinen Ministerkollegen wie ein Staatsgeheimnis gehütet werde.
Ein wirkungsvoller Hochwasserschutz für die vielen betroffenen Menschen in Niederbayern ist auch uns Oberpfälzern wichtig, aber das wird die Landesregierung nicht vom Kabinettstisch aus erreichen, sondern nur im Dialog mit allen, die dazu beitragen sollen. [...] Dabei sei es so wichtig, zügig und gemeinsam zu einer weiteren deutlichen Verbesserung des Hochwasserschutzes in Bayern zu kommen. Das sei die eigentliche Verantwortung von CSU und Freien Wählern in München. „In der Region Regensburg verlieren wir uns dagegen nicht in parteipolitischen Scharmützeln, sondern ziehen an einem Strang im Sinne einer guten Lösung für ganz Bayern. Nicht nur innerhalb der SPD, sondern auch über alle Parteigrenzen hinweg,
, freut sich Koch.
Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber positioniert sich für die Flutpolder. Die Untersuchungen würden klar zeigen, dass Flutpolder wirken und notwendig seien. Das Umweltministerium schlägt einem Sprecher zufolge vor, das Flutpolderprogramm an der Donau mit neun Standorten fortzuführen.
Der Standort Bertoldsheim (Landkreis Neuburg-Schrobenhausen) soll beibehalten und die zwei Standorte Wörthhof und Eltheim (Landkreis Regensburg) möglichst zu einer neuen Variante zusammengefasst werden, und zwar mit einem Volumen von rund 30 Millionen Kubikmetern.
Diese neue Variante müsse im weiteren Verfahren ausgearbeitet werden und soll die Bedürfnisse der Menschen vor Ort berücksichtigen. Durch die Untersuchungen würde deutlich werden, dass eine Realisierung ohne negative Veränderungen der Grundwassersituation für die Anlieger erfolgen könne. Dem Umweltministerium nach könnte mit dem Flutpolder-Konzept am Pegel Straubing zum Beispiel der maximale Wasserstand um knapp 40 Zentimeter gesenkt werden. Der Polder Bertoldsheim würde am Pegel Ingolstadt eine entsprechende Absenkung von über 20 Zentimetern bewirken, hieß es.
Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), bislang ein Gegner der Flutpolder, sagte der «Mittelbayerischen Zeitung», der in der Studie empfohlene Kompromiss bei den Flutpoldern sollte weiterverfolgt werden. Die Debatte sei neu eröffnet. Das freut laut «Straubinger Tagblatt» auch den Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (CDU), dessen Landkreis 2013 besonders von Hochwasser betroffen war. Er äußerte der Zeitung gegenüber Respekt für Glauber, «der immer gesagt hat, er entscheidet das rein fachlich».
„Weg von der reinen Polderdebatte, zurück zu einer gesamtheitlichen Lösung für den Hochwasser- und Starkregenschutz in Bayern, das muss das Ziel sein“, betont Dr. Burger.
dpa/Landratsamt Regensburg/Peter Aumer/MB