Im Rahmen eines Forschungsprojektes zu Totholz und Artenvielfalt im Nationalpark Bayerischer Wald konnte kürzlich erstmals der Reitters Rindenkäfer Synchita separanda nachgewiesen werden, der nach der bundesdeutschen Roten Liste akut vom Aussterben bedroht ist. Mit nun insgesamt 16 dokumentierten seltenen Käferarten, die als sogenannte „Urwaldrelikte“ in Deutschland Indikatoren für besonders ursprüngliche Wälder mit urwaldähnlichen Lebensraumbedingungen sind, steht der Nationalpark Bayerischer Wald jetzt auf Platz 1 auf der Rangliste von Bayerns ökologisch wertvollsten Waldgebieten.
Gefunden wurde das seltene Insekt, das 1998 noch als ausgestorben/verschollen galt und für das erst in den letzten Jahren wieder einige wenige Nachweise in Deutschland gelangen, von Sebastian Seibold. Der 28-jährige Doktorand der TU München arbeitet zurzeit im Nationalpark an seiner Promotion, in der er mit verschiedenen Versuchsanordnungen im Freiland den Zusammenhang von Artenvielfalt und Totholzangebot untersucht. Der Rindenkäfer Synchita separanda ist ein für lichte Altwälder und Windwurfflächen typischer Totholzbewohner, der auf ganz bestimmte Holzpilze als Nahrung angewiesen ist. Er war dem Nachwuchsforscher wiederholt auf sonnigen Arealen in der Nähe von starken Buchentotholzstämmen in seine Flugfensterfallen gegangen. Bestimmt wurde der nur knapp fünf Millimeter große Winzling von Dr. Alexander Szallies, einem Käferexperten des Schweizer Instituts für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, der Seibold bei der Bestimmung der Artenvielfalt unterstützt.
„So unscheinbar der Reitters Rindenkäfer dem Laien auch erscheinen mag – für uns Waldökologen ist sein Fund eine kleine Sensation, nicht nur, weil er so superselten ist, sondern weil er uns auch wertvolle Rückschlüsse über den Lebensraum ermöglicht, in dem er gefunden wurde“, kommentiert Dr. Jörg Müller, Seibolds Doktorvater und Forschungsleiter im Nationalpark, die Entdeckung der Käfer-Rarität im inneren Bayerischen Wald. „Dabei kommt es nicht nur auf den Nachweis dieser einen Art an. Grade das deutlich gehäufte Auftreten von Urwaldreliktarten erlaubt uns den Rückschluss, dass in den Nationalparkwäldern viele für mitteleuropäische Urwälder charakteristische Prozesse rings um das Totholz intakt sind, wie es sie in Wirtschaftswäldern kaum noch oder gar nicht mehr gibt.“ Gute Beispiele für die Anhäufung solcher Urwaldspezialisten seien der im Vergleich zu Synchita separanda mit drei Zentimetern Länge stattliche und ebenfalls fast ausgerottete Zottenbock Tragosoma depsarium, der 2013 erstmals im Nationalpark nachwiesen wurde, und der 2007 gefundene, ebenfalls sehr seltene Goldfüßige Schnellkäfer Ampedus auripes, benennt der Forscher zwei weitere der insgesamt 16 für den Nationalpark dokumentierten ökologischen Käferkleinode.
Mit seiner eindrucksvollen Liste an seltenen Urwaldreliktkäfern ist das Großschutzgebiet an der tschechischen Grenze Spitzenreiter in der Rangliste von aus ökologischer Sicht besonders wertvollen Wäldern in Bayern, die sich alle durch hohe Artenvielfalt und im Management durch den Schutz von möglichst ursprünglichen Lebensraumbedingungen auszeichnen, wie etwa der Hochspessart oder die Donauleiten und Donauauen bei Passau. „In diesem Zusammenhang sind nicht nur holzbewohnende Käfer geeignete Indikatoren. Bestätigt wird unser ‚Urwald-Befund‘ für den Nationalpark auch durch andere Organismen, wie beispielsweise die weltweit vom Aussterben bedrohte Zitronengelbe Tramete. Diesen auf älteres, bereits durch den Rotrandigen Fichtenporling zersetztes Totholz spezialisierten Pilz gab es in den 1990er Jahren bei uns nur noch in einem kleinen Restvorkommen. Seit einem knappen Jahrzehnt kann er jedoch regelmäßig im gesamten Nationalpark in unseren Naturzonen nachgewiesen werden“, so Müller.
pm