Mi, 19.04.2023 , 13:28 Uhr

Flossenbürg/Pocking: Ehemaliges KZ-Außenlager archäologisch untersucht - Funde zeichnen ein Bild des Lebens im KZ-Außenlager Pocking

Rund 80 Außenlager hatte das KZ Flossenbürg. Das in Pocking wurde nun archäologisch untersucht.

Das Konzentrationslager in Flossenbürg war Mittelpunkt eines weit verzweigten Lagersystems. In einem Außenlager wurden jetzt archäologische Ausgrabungen durchgeführt. Diese zeichnen ein Bild des Lebens im Außenlager Pocking. Gefunden wurden neben einem Zigarettenetui aus Aluminium auch profane Alltagsgegenstände wie Bier- und Mineralwasserflaschen, Uniformknöpfe, Zahnpasta-Tuben und Porzellanscherben. Die Funde zeugen vom Alltag der Täter, aber auch vom Alltag der Opfer, so das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in einer Pressemitteilung.

Pressemitteilung des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege

Ausgerechnet in der Verfüllung eines Abflusses fand das Archäologen-Team eines der emotionalsten Fundstücke der Grabung: ein Zigarettenetui aus Aluminiumblech, das nachträglich aufwändig verziert wurde. Der Frauenname „Tasja“ ist in kyrillischen Buchstaben in die Oberfläche geritzt. War es das Geschenk einer Angehörigen einer der 400 Häftlinge, die im Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg in Kirchham bei Pocking ihrer Freiheit und in mindestens 96 Fällen ihres Lebens beraubt wurden? Das Etui ist Teil der Grabungsfunde, die Archäologinnen und Archäologen auf der mit einem Hektar bislang größten Grabung auf dem Areal eines Außenlagers des KZ Flossenbürg entdeckten. Anlass der archäologischen Flächengrabung und der anschließenden Dokumentation der Funde ist der geplante Neubau der Bundesautobahn A94. Die archäologischen Maßnahmen waren von Beginn an eng mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg abgestimmt. Die Gedenkstätte plant auch die Übernahme der Funde, sodass diese künftig der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zur Verfügung stehen.

„Baumaßnahmen wie die an der A94 reißen auch weniger bekannte Orte der NS-Verbrechen aus dem Vergessen und rücken diese junge Zeitschicht in den Blickpunkt der Bodendenkmalpflege. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landesamt bedeutet das, dass sie sich als Bodendenkmalpfleger und Archäologen in einem Spannungsfeld zwischen Dokumentieren, Forschen und Gedenken bewegen.“, betont Generalkonservator Prof. Mathias Pfeil, Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege.

Zwangsarbeit und Vernichtung

Ähnlich anderer großer Vernichtungs- und Konzentrationslager der Nationalsozialisten wurde das in der Oberpfalz gelegene KZ-Hauptlager Flossenbürg ab 1942 zur Zentrale eines weit verzweigten Lagersystems. Das südlichste der annähernd 80 Außenlager des KZ Flossenbürg war das bei Pocking. 1942 als Lager für sowjetische Kriegsgefangene errichtet, wurden dort ab 6. März 1945 in einem abgetrennten Bereich 400 KZ-Häftlinge interniert. Sie erreichten das KZ-Außenlager Pocking auf unmenschliche Weise in Bahnwaggons und auf Todesmärschen aus östlicher gelegenen Lagern. Sie wurden zu Bauarbeiten am Bahnhof und für die Rollbahn des Fliegerhorsts Waldstadt gezwungen. Ein Viertel von ihnen starb, vor allem an Krankheiten und der katastrophalen Unterernährung. Das Lager wurde am 2. Mai 1945 durch amerikanische Truppen befreit.

Die archäologischen Funde

Die bei der Grabung freigelegten Funde sind sowohl Tätern als auch Opfern zuzuordnen: Profane Alltagsgegenstände wie Bier- und Mineralwasserflaschen, Uniformknöpfe, Zahnpasta-Tuben und Porzellanscherben zeugen vom Alltag der Täter; NS-Orden bilden die nationalsozialistische Gesinnung der Zeit ab. Die Grabung legte auch persönliche und Gebrauchsgegenstände der Opfer frei, wie Reste von Lederschuhen, eine mühevoll ausgestanzte Dose, wahrscheinlich ein provisorisches Sieb, und eben das verzierte Etui. Röntgenaufnahmen zeigen, dass es ursprünglich maschinell ohne Dekor hergestellt wurde. Das Zierwerk wurde aufwändig hinzugefügt. Das Grabungsteam konnte auch Reste von zehn Gebäuden freilegen: etwa von der Entlausungsstation und der Baracken, in denen die Häftlinge untergebracht waren.

Archäologie und NS-Zeit

Mit wachsendem zeitlichen Abstand ist die Epoche des Nationalsozialismus verstärkt Thema der Bodendenkmalpflege und Gegenstand archäologischer Ausgrabungen. Nach 1945 waren Orte mit einem Bezug zum Zweiten Weltkrieg oder den Verbrechen des Naziregimes wie die KZ-Außenlager zum Teil aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt worden. Baumaßnahmen wie in Pocking führen dazu, dass die Forschungsfelder der Bodendenkmalpflege und der Archäologie sich vermehrt dieser jungen Zeitschicht zuwenden.

 

PM Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege / KH

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