Fr, 01.09.2023 , 15:15 Uhr

Fragen "am besten noch heute" beantworten

Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger: Lebensgefährtin Tanja Schweiger äußert sich

Staatsminister Hubert Aiwanger hat sich am Donnerstag zu den aktuellen Vorwürfen geäußert und diese zurückgewiesen. Markus Söder erhöht den Zeitdruck auf seinen Stellvertreter. Aiwanger solle am besten noch heute die 25 Fragen beantworten. Inzwischen hat sich auch Aiwangers Lebensgefährtin und Regensburger Landrätin Tanja Schweiger geäußert.

15:15 Uhr: Lebensgefährtin Tanja Schweiger äußert sich

Laut seiner Lebensgefährtin Tanja Schweiger ist Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger über die Vorwürfe in der Flugblatt-Affäre gegen ihn «wirklich erschüttert». Der Freie-Wähler-Chef sei jemand, «der integriert und nicht ausgrenzt», sagte die Landrätin des Landkreises Regensburg am Freitag dem TV-Sender Welt.

Sie bekomme in dem Zusammenhang E-Mails mit Unterstützung von «wildfremden Leuten». «Die sagen: Der soll durchhalten, wir setzen auf ihn», sagte Schweiger. «Die Solidarität wird täglich größer.»

Schweiger kritisierte zudem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der die Vorwürfe gegen Aiwanger als «sehr bedrückend» bezeichnet und Aufklärung gefordert hatte.

«Wenn man einen Bundeskanzler hat, der sich an Vorgänge vor sechs Jahren nicht mehr erinnern kann, wo er eigene Akten dazu hat, wo er aktiv im Handeln war, dann sollte genau derjenige vorsichtig sein, Dinge einzufordern, die 35 Jahre her sind», sagte Schweiger mit Blick auf Scholz‘ Äußerungen zu seiner Rolle im Steuerskandal bei der Hamburger Warburg-Bank. «Mit dem Finger auf andere zu zeigen und selbst Lücken offen zu machen, zeigt natürlich auch, wo der Wind her weht.»

 

 

Update: Söder erhöht Zeitdruck

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat die Entschuldigung seines Stellvertreters Hubert Aiwanger in der Affäre um ein altes antisemitisches Flugblatt als überfällig bezeichnet. Gleichzeitig erhöhte er am Freitag den zeitlichen Druck auf den Freie-Wähler-Chef, die 25 an ihn gestellten Fragen nun rasch schriftlich zu beantworten. «Am besten noch heute», wie Söder am Rande eines Termins im mittelfränkischen Bechhofen sagte.

«Die Entschuldigung gestern war dringend notwendig. Es bleiben aber noch viele Fragen offen», sagte Söder. «Für mich ist wichtig, dass die 25 Fragen jetzt umfassend und glaubwürdig beantwortet werden, und zwar zeitnah. Und zeitnah heißt am besten noch heute, im Laufe des Tages.»

 

31.08. In voller Länge: Hubert Aiwanger äußert sich

Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat sich in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten entschuldigt. Er bereue zutiefst, wenn er durch sein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen ihn aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe, sagte Aiwanger am Donnerstag in München. Von einem möglichen Rücktritt war in seinem kurzen Statement keine Rede.

 

 

 

Vorwürfe, Verteidigung, Ungewisses: Zwischenstand der Aiwanger-Affäre

Von Christoph Trost, dpa

Binnen kurzer Zeit hat sich die politische Lage in Bayern dramatisch zugespitzt. Und jeden Tag gibt es in der Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger neue Fragen und Details. Ein Zwischenstand im Überblick.

 

Es ist ein politischer Tsunami, der seit dem Wochenende über Bayern hinweg rollt, vor allem über Hubert Aiwanger und die Freien Wähler, aber auch über Markus Söder und die CSU. Und noch ist ungewiss, wen und was alles die Welle mit sich reißen wird.

Klar ist: Irgendwann in den kommenden Tagen, also gut einen Monat vor der bayerischen Landtagswahl, wird der Ministerpräsident eine politisch heikle Entscheidung treffen müssen: Entlässt er seinen Vize wegen der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten – oder nicht? Viele große und kleine Mosaiksteine aus Vorwürfen und Gegenvorwürfen, aus Verteidigungsversuchen, aus immer neuen Vorhaltungen und vielen Spekulationen setzen sich ganz langsam zu einem Bild zusammen. Eine vorläufige Einordnung und ein Ausblick:

 

Die ursprünglichen Vorwürfe: Die «Süddeutsche Zeitung» berichtete in ihrer Wochenendausgabe über den Verdacht, dass der Freie-Wähler-Chef zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben haben soll. Das wies der heute 52-Jährige schriftlich zurück. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien «ein oder wenige Exemplare» in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Offen blieb bisher, ob Aiwanger einzelne Exemplare weitergab, das sei ihm «heute nicht mehr erinnerlich». Sein Bruder meinte, vielleicht habe Hubert die Flugblätter eingesammelt, «um zu deeskalieren».

 

Zusätzliche Vorwürfe: Ein ehemaliger Mitschüler Aiwangers sagte der ARD offen und mit Namen, Aiwanger habe als Schüler beim Betreten des schon besetzten Klassenzimmers früher ab und zu «einen Hitlergruß gezeigt». Zudem habe Aiwanger «sehr oft diese Hitler-Ansprachen nachgemacht in diesem Hitler-Slang». Auch judenfeindliche Witze seien «definitiv gefallen». Aiwanger sagte der «Bild» zum Vorwurf mit dem Hitlergruß: «Mir ist nicht im Entferntesten erinnerlich, dass ich so etwas gemacht haben soll.» Im Online-Netzwerk X (früher Twitter) wehrte er sich zudem gegen den Vorwurf einer nicht namentlich genannten Ex-Mitschülerin in der «Süddeutschen Zeitung»: «Es wird immer absurder. Eine andere Person behauptet, ich hätte Mein Kampf in der Schultasche gehabt. Wer lässt sich solchen Unsinn einfallen!?»

 

Aiwangers Verteidigung: In seiner schriftlichen Erklärung nannte er das Flugblatt «ekelhaft und menschenverachtend». «Auch nach 35 Jahren distanziere ich mich vollends von dem Papier.» Am Mittwoch äußerte er sich ausführlicher: Es sei so, «dass vielleicht in der Jugendzeit das eine oder andere so oder so interpretiert werden kann, was als 15-Jähriger hier mir vorgeworfen wird», sagte er vor Journalisten. «Aber auf alle Fälle, ich sag‘ seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund.» Weil dies Raum für neue Spekulationen ließ, schob er später hinterher: «Ich war noch nie Antisemit oder Extremist.» Die Freien Wähler verweisen unterdessen auch darauf, dass Aiwanger «nach den Vorfällen» sogar Schülersprecher an seiner Schule gewesen sei.

 

Gegenvorwürfe: Die Freien Wähler kritisieren die aktuellen Vorgänge als «Schmutzkampagne». Aiwanger schrieb auf X/Twitter am Mittwoch: «#Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los. #Aiwanger». Aufklärungsforderungen auch von Kanzler Olaf Scholz werden von den Freien Wählern zurückgewiesen: Der SPD-Politiker wolle sich ja nicht einmal an Dinge erinnern können, die nur wenige Jahre zurückliegen.

 

Fragezeichen und Ungewisses: Es gibt auch die Aussage eines anderen ehemaligen Mitschülers Aiwangers. «Focus online» zitiert ihn mit den Worten, ein ehemaliger Lehrer habe ihm gegenüber geäußert, Aiwanger «stürzen» zu wollen. Die Mediengruppe Bayern wiederum berichtet von Aussagen von Freien Wählern vor Ort, der Lehrer habe das Flugblatt «immer wieder angeboten». Einer sagte den Zeitungen der Mediengruppe, der Lehrer habe sich «gebrüstet», dass er Aiwanger schaden könnte.

Tatsächlich gibt es viele Fragezeichen: Seit wann ist das Flugblatt wo bekannt? Was ist dran an einem neuen «Spiegel»-Bericht, wonach Aiwanger sich bereits 2008 beim damaligen CSU-Chef Horst Seehofer über mutmaßliche Recherchen eines CSU-Mitarbeiters zu seiner Schulzeit beschwerte (der CSU-Mann wies dies demnach aber an Eides statt zurück)? Was ist dran an einem Bericht der «Süddeutschen Zeitung», wonach schon 2008 jemand bei einem Ex-Lehrer vorstellig wurde und fragte, ob von seiner Seite «Gefahr» für Aiwanger drohe?

 

Wie es weitergeht: Aiwanger hat von Söder 25 Fragen bekommen, die er nun schriftlich und «zeitnah» beantworten soll. Wann dies geschieht, war am Donnerstag zunächst offen. Anschließend will Söder eine abschließende Bewertung vornehmen. Die zentrale Entscheidung, die er dann akut treffen muss: Entlässt er Aiwanger als Minister, ja oder nein? Für eine Entlassung bräuchte er anschließend die Zustimmung des Landtags. Klar ist so oder so: Im Landtag wird es am 7. September – auf Antrag von Grünen, SPD und FDP – eine Sondersitzung geben.

 

Szenarien und mögliche Folgen: Das ist Söders Dilemma: Entlässt er Aiwanger, ist die Koalition kurz vor der Landtagswahl am Ende. Davon könnten die Freien Wähler, so die Sorge der CSU, am Wahltag massiv profitieren. Hält Söder an ihm fest, könnten er und die CSU aber am Ende in Mithaftung genommen werden. Insgesamt steht Söder derart unter Beobachtung, auch bundesweit, auch vom Zentralrat der Juden und anderen: Vielleicht kann er, um politisch gesichtswahrend aus der Affäre zu kommen, gar nicht mehr anders als Aiwanger zu entlassen? Auch auf die Gefahr hin, am Ende ein paar Prozentpunkte zu verlieren.

Was die Zeit nach der Wahl angeht: Auch wenn Söder grundsätzlich, mangels für die CSU wünschenswerter Alternativen, die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen will – mit Aiwanger als Minister wird dies nicht mehr möglich sein. Sollten die Freien Wähler unverrückbar an Aiwanger als Minister festhalten, müsste sich Söder einen anderen Partner suchen. Die Grünen wären in der CSU kaum vermittelbar, bliebe also rechnerisch, nach vergangenen Umfragen, vielleicht nur die SPD. Allerdings ist der Wahlausgang ja plötzlich wieder sehr ungewiss.

 

dpa / MB

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