Knapp ein Jahr nach der blutigen Messerattacke auf Reisende in einem ICE steht ab dieser Woche Freitag (21. Oktober) im Oberlandesgericht München die juristische Aufarbeitung an. Der Generalbundesanwalt hatte die Ermittlungen übernommen, weil es «gravierende Anhaltspunkte für einen islamistischen Hintergrund» der Tat gebe. Der Beschuldigte, laut Ermittlern ein «palästinensischer Volkszugehöriger», soll spätestens im September 2021 den Entschluss gefasst haben, durch wahllose Tötung «ungläubiger» Nichtmuslime in Deutschland einen Beitrag zum weltweiten Dschihad zu leisten.
Am 6. November 2021 hatte der damals 27-Jährige laut Anklage in dem Fernzug Passau-Hamburg zwischen Regensburg und Nürnberg plötzlich vier Männer angegriffen und mehrere von ihnen schwer verletzt. Einem sitzenden Fahrgast hatte er sich etwa von hinten genähert und ihm das Messer achtmal in den Kopf-, Hals- und Brustbereich gestoßen. Nach der Tat hatte der ICE einen außerplanmäßigen Zwischenstopp im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz gemacht. Polizisten durchsuchten den Zug und nahmen den mutmaßlichen Täter fest.
Auch wenn der Angeklagte die Tat als solche bislang nie bestritten hat, sind aus Sicht seiner Verteidigung bei dem Prozess zwei zentrale Fragen zu klären, wie Anwalt Maximilian Bär aus Nürnberg der Deutschen Presse-Agentur erklärte. Dies sei zum einen die Frage, ob es sich bei dem Mann wirklich um einen Dschihadisten handelt, wie der Generalbundesanwalt es in seiner Theorie vertrete. «Die genannten Anhaltspunkte überzeugen mich nicht. Es gibt keine Hinweise, dass mein Mandant in ein Terrornetzwerk eingebunden war», sagte Bär.
Unter anderem begründet die Anklagevertretung ihre Einschätzung mit sichergestellten Videos, die auf Geräten des Angeklagten sichergestellt wurden. Für Bär ist aber der Besitz kein Beweis dafür, dass sein Mandant aufgrund einer islamistischen Radikalisierung «ungläubige» Nichtmuslime töten wollte.
Zum Zweiten gehe es darum zu klären, wie der psychische Zustand des Mannes zum Zeitpunkt der Tat einzuschätzen sei, sagte Bär. Dazu gebe es mehrere Gutachten, die sich jedoch inhaltlich teils massiv widersprächen. Einerseits kämen sie zum Schluss, der Angeklagte habe eine psychische Erkrankung nur simuliert, andere sehen Anhaltspunkte, er sei wirklich krank und benötige daher eine entsprechende Behandlung in einer Klinik statt einer Unterbringung im Gefängnis.
Die Anklage wirft dem Beschuldigten versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung in drei Fällen vor sowie in einem weiteren Fall gefährliche Körperverletzung. Der letzte Punkt bezieht sich auf einen Übergriff auf einen Pfleger im Krankenhaus Regensburg, wo er sein Zimmer verwüstet und einen Pfleger angegriffen haben soll.
Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat zunächst 24 Verhandlungstage bis zum 23. Dezember 2022 geplant. Dabei sollen Polizisten und Ermittler, Sachverständige, Arbeitskollegen und Mitglieder der Familie des Mannes angehört werden.
dpa / MB