Mi, 26.01.2022 , 18:32 Uhr

Bayern: Städte rüsten sich für Flut von Kirchenaustritten

Das Missbrauchsgutachten für die Erzdiözese München und Freising erschüttert die katholische Kirche - und viele Gläubige ziehen Konsequenzen. Die Flut der Kirchenaustrittswünsche wird inzwischen zu einer Herausforderung für die bayerischen Kommunen. In Regensburg werden ab Februar im Standesamt die Terminkapazitäten erweitert.

Nach der Vorstellung eines Gutachtens zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im katholischen Erzbistum München und Freising müssen Standesämter in Bayern sich für eine Flut von Kirchenaustritten rüsten. Allein in München wurden nach Angaben des Kreisverwaltungsreferates (KVR) seit Veröffentlichung des Gutachtens am vergangenen Donnerstag rund 650 Termine für Kirchenaustritte gebucht. Das sind deutlich mehr als doppelt so viele wie üblicherweise zu erwarten gewesen wäre, wie ein KVR-Sprecher sagte.

Um diese Flut zu bewältigen, erweitert das Standesamt seine Öffnungszeiten und setzt zwei zusätzliche Beschäftigte für Kirchenaustritte ein. Insgesamt werde die Kapazität «durch Umschichtung» sogar verdreifacht, aber selbst das werde voraussichtlich nicht reichen. Das KVR weist darum darauf hin, dass der Kirchenaustritt auch schriftlich eingereicht werden kann – wenn die Unterschrift notariell beglaubigt wird.

 

Kirchenaustritte in Regensburg steigen

Die Stadt Regensburg wird ab Februar die Terminangebote am Standesamt erweitern. Seit Anfang des Jahres bis Stichtag 25.01.22 seien laut einer Pressesprecherin bereits 148 Kirchenaustritte erfolgt. Hinzu kommen noch 230 Terminbuchungen für einen Austritt. Seit dem vergangenen Wochenende – und damit nur wenige Tage nach Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens, wurden 158 Termine gebucht.

Die Zahl der Kirchenaustritte ist bereits im vergangenen Jahr stark angestiegen. 2020 waren es in der Domstadt 1.356 Austritte, 2021 mit insgesamt 2.337 registrierten Kirchenaustritten knapp doppelt so viele in der Stadt Regensburg.

 

Mehrere Städte bauen Kapazitäten aus

Auch die Städte Regensburg, Ingolstadt und Würzburg reagieren und bauen ihre Kapazitäten aus. In Würzburg sollen vom 1. Februar an 22 Termine pro Woche zusätzlich angeboten werden. Seit Donnerstag seien dort 50 Anfragen wegen eines Kirchenaustritts eingegangen – fünfmal so viele wie im gleichen Zeitraum 2021. Insgesamt traten dort in diesem Jahr 109 Menschen aus der Kirche aus. 70 davon waren katholisch.

In Ingolstadt sind alle Termine zum Kirchenaustritt bis Mitte März ausgebucht. Die Nachfrage sei aber so groß, dass «das Standesamt absehbar zusätzliche Terminkapazitäten schaffen wird», wie ein Sprecher sagte. In Regensburg will das Standesamt ab Februar «das Terminangebot erweitern».

Nicht weit von München entfernt, in Ebersberg, wo das Amtsgericht Ende der 1980er Jahre einen Priester wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte, bevor der in einer anderen Gemeinde wieder eingesetzt und dort erneut rückfällig wurde, hat sich die Zahl der Austritte in den ersten Wochen des Jahres fast verdoppelt: Bis zum 26. Januar 2021 waren es 17, in diesem Jahr sind es nach Angaben der Stadt schon 31.

In Bamberg sind seit dem 21. Januar, dem Tag nach der Präsentation der Studie, nach Angaben eines Stadtsprechers 21 Menschen aus der Kirche ausgetreten, 17 davon katholisch. Insgesamt gab es dort im Januar 2022 bisher schon 83 Austritte, davon 71 katholisch. «Auch das ist signifikant mehr als in den Vorjahren», sagte der Sprecher.

In Nürnberg müssen Termine zwei Wochen im Voraus gebucht werden. Wer dort also in dieser Woche aus der Kirche austritt, hat den Termin vor der Vorstellung des Gutachtens gebucht. Bislang liegt die Zahl der Kirchenaustritte bei Katholiken und Protestanten dort in diesem Jahr insgesamt schon bei 371. Das sind 73 Prozent mehr als im vergangenen Jahr bis zum 25. Januar.

 

Reform – „Auftreten statt Austreten“

Die Reformbewegung «Wir sind Kirche» forderte die Gläubigen hingegen auf: «Auftreten statt Austreten: Wer die langen Jahre unter Papst Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger/Papst Benedikt VXI. in der Kirche ausgehalten hat, sollte gerade jetzt nicht gehen, sondern die Reformgruppen wie «Wir sind Kirche» oder Maria 2.0 unterstützen.»

 

Vatikan: Kein Fokus auf Papst Benedikt, sondern Lehren ziehen

Auch der Vatikan meldete sich zu Wort: Man solle sich nun nicht nur auf den emeritierten Papst Benedikt fokussieren, der nach der Veröffentlichung des Gutachtens eine Falschaussage eingeräumt hatte. Vielmehr sei es nun wichtig, Lehren für die Zukunft zu ziehen, schrieb Mediendirektor Andrea Tornielli am Mittwoch in einer Stellungnahme des Heiligen Stuhls. Die Bewertungen des Berichts «werden zur Bekämpfung der Pädophilie in der Kirche beitragen können, wenn sie sich nicht auf die Suche nach bloßen Sündenböcken und auf Pauschalurteile beschränken».

 

Opfer nicht aus dem Blick verlieren

Münchens ehemaliger Generalvikar Peter Beer, der im Gutachten für seine Aufklärungsarbeit gelobt wird, berichtete in einem Interview mit der «Zeit» von massiven kircheninternen Widerständen. «Wenn du Hierarchien angreifst, Herrschaftswissen transparent machen willst, wird blockiert und zurückgeschossen.»

Der Betroffenenbeirat im Bistum Passau warnte derweil, die Opfer nicht aus dem Blick zu verlieren – sie kämen in der öffentlichen Wahrnehmung zu kurz. «Ganz Deutschland spricht über das Versagen der katholischen Kirche, über Vertuschung, fehlerhafte und verschwundene Personalakten und über Rücktritt von prominenten Bischöfen und Kardinälen», hieß es in einer Stellungnahme. «Aber kaum jemand nimmt das grenzenlose Leid der von Missbrauch Betroffenen, die schon als Kinder zu Opfer wurden und unter massiven lebenslangen Folgen leiden, zur Kenntnis, wenn ja, dann nur als Randnotiz.»

Das vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden; es wirft den Kardinälen und ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger sowie dem aktuellen, Reinhard Marx, Fehlverhalten vor.

Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern sprechen die Gutachter, gehen aber von einem deutlich größeren Dunkelfeld aus.

 

dpa/MB/JM

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