In Bayern dürfen Haus- und Fachärzte ab diesem Donnerstag unabhängig von der Impfreihenfolge gegen das Coronavirus impfen. Dennoch wird es dauern, bis jeder Interessent an die Reihe kommt, denn der Impfstoff-Bedarf liegt noch immer deutlich über den Liefermengen. Die bayerischen Impfzentren setzen deshalb sogar Erstimpfungen bis zum 7. Juni fast vollständig aus. Denn die vorhandenen Dosen werden weitgehend für die anstehenden Zweitimpfungen gebraucht.
«Ich gehe davon aus, dass wir ab der Kalenderwoche 23 in den Impfzentren wieder mit Erstimpfungen weitermachen können, die übrigens auch bei den Hausärztinnen und Hausärzten und Fachärzten weiter abgegeben werden», hatte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Mittwoch in München gesagt. Mit der Freigabe der Priorisierung bei den Ärzten geht der Freistaat schneller voran als manch andere Bundesländer. Bundesweit sind lediglich die Impfstoffe von Astrazeneca und Johnson & Johnson bislang freigegeben.
Mit Blick auf die Impfzentren betonte Holetschek: «Dass wir uns jetzt eine Zeit lang auf die Zweitimpfungen konzentrieren, ist jetzt eigentlich nichts Überraschendes.» Schließlich habe es im April sehr viele Erstimpfungen gegeben, sodass dort nun die Zweitimpfung anstehe. Hinzu kam noch der Wechsel von Astrazeneca auf die mRNA-Impfstoffe bei den Zweitimpfungen für unter 60-Jährige - also Moderna oder Biontech.
In den kommenden drei Wochen werden daher hauptsächlich die Haus- und Fachärzte Erstimpfungen vornehmen. Die Impfzentren verabreichen derweil in den kommenden vier Wochen mehr als 1,1 Millionen Zweitimpfungen, wie Holetschek erläuterte.
Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz kritisierte dieses Vorgehen: «Das ist der Holetscheksche Impfturbo. Im Stand laut aufheulen, doch wenn es dann auf die Strecke gehen soll, reicht der Treibstoff gerade mal für das Ausrollen auf dem Standstreifen.»
In vielen Arztpraxen kommt es seit der Aufhebung der Priorisierung zum Ansturm von Impfwilligen. Ärztepräsident Klaus Reinhardt kritisierte das Vorpreschen einiger Bundesländer. «Und so werden viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen förmlich überrannt. Wenn dann nicht alle Impfwilligen unmittelbar zum Zuge kommen, führt das natürlich zu Frust, der leider auch beim Praxispersonal abgeladen wird», kritisierte Reinhardt in der «Rheinischen Post» (Donnerstag). «Das geht so nicht. Das ist belastend und behindert den Praxisbetrieb enorm», fügte der Präsident der Bundesärztekammer hinzu. Dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für den 7. Juni die bundesweite Aufgabe der Impfreihenfolge angekündigt hat, bezeichnete Reinhardt als gut und richtig, wenn dann auch ausreichende Mengen an Impfstoff bereitstünden.
Ärztevertreter aus mehreren Bundesländern riefen Impfwillige zur Zurückhaltung auf. «Ich habe Verständnis dafür, dass viele nun schnell geimpft werden wollen, gerade im Vorfeld der Urlaubszeit. Aber ich appelliere an die Menschen, jetzt die Füße stillzuhalten und nicht die Praxen abzutelefonieren und mit Impfanfragen zu überhäufen», sagt Markus Beier, Vorsitzender des bayerischen Hausärzteverbandes, der «Welt» (Donnerstag). Es gebe nicht genug Termine und nicht genug Impfstoff, das werde sich voraussichtlich erst Mitte Juni ändern. Beier warnte zugleich davor, dass Kapazitäten für Menschen blockiert würden, die nicht wegen Corona in die Praxen kommen. «Da sehen wir erste Engpässe.»
Eine Entlastung für die Praxen könnte es geben, wenn die Betriebsärzte ab dem 7. Juni in die Impfkampagne einsteigen. «Wir haben rund 10 000 aktive Betriebsärzte und zusätzlich Ruheständler aktiviert. So aufgestellt, können wir rund fünf Millionen Impfdosen pro Wochen verimpfen», kündigte Wolfgang Panter, Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte, in der «Welt» an.
Aus Sicht des bayerischen Landkreistages sollte auch die Zahl der über die Ärzte vergebenen Impfungen gegen das Coronavirus an der regionalen Einwohnerzahl bemessen werden. Abgesehen von Sonderkontingenten etwa für besonders stark getroffene Regionen sei die Verteilung der Impfstoffe an die Impfzentren der Landkreise und kreisfreien Städte einwohnergerecht, sagte der Präsident des Landkreistages, Christian Bernreiter, am Mittwoch in München. Seit jedoch auch die Haus- und Fachärzte mitimpfen, gebe es starke Verschiebungen. «Das führt zu großem Unmut.»
Die Ärzte erhielten über das Bundesgesundheitsministerium in der Summe inzwischen mehr Dosen als die Impfzentren, erläuterte der Deggendorfer Landrat. Allerdings würden Gebiete mit geringer Ärztedichte benachteiligt. Zugleich könnten Dosen, die etwa wegen nicht besetzter Praxen nicht abgerufen werden, aufgrund der Zuständigkeiten nicht an die Impfzentren übertragen werden, sagte der CSU-Politiker. «Da ist ein starres System, das so nicht hält.»
Die Landrätinnen und Landräte sprachen sich nach ihrer Versammlung auch für den Erhalt einer guten, wohnortnahen Krankenhausstruktur aus. «Die aktuellen Entwicklungen stehen weder mit den vielfach geforderten gleichwertigen Lebensverhältnissen im Einklang noch werden sie den Anforderungen im Katstrophen- oder Pandemiefall gerecht», hieß es in einem Forderungspapier für die anstehende Bundestagswahl. «Allen voran wegen der Versorgungssicherheit im gesamten Land muss die Ausdünnung der Krankenhausstrukturen über eine zunehmende Verknappung der Erlöse ein Ende haben.»
dpa/MB